Lapplandreise

Julka Hartmann

"EXPLORE THE NORTH" IN KANGOS, Lappland, 2019

Im Januar 2019 ging es für Matilda und mich endlich los: 

Im Jahr vorher hatten wir mit einem Video bei einer Trainings-Challenge von "BOZITA" Hundefutter mitgemacht, in der es um Zughundetraining ging.

Obwohl in der Zeit hier alle Zuhause mit fieser Grippe flachlagen, schleppten wir uns für die Teilnahme einmal bei Regen nach draußen vor die Tür und drehten einen kurzen Film von Matilda und Ellid mit dem Sacco Cart.

Die Challenge war schon fast wieder vergessen und das Preisausschreiben beendet, als wir eine Nachricht bekamen: Ihr habt gewonnen! Ihr fliegt nach Lappland zu einer Huskystation von EXPLORE THE NORTH!

Unfassbar. Wir konnten es erst überhaupt nicht glauben... 


Im nächsten Winter war es so weit: Nachdem wir unser Gepäck eigentlich recht simpel gestaltet hatten: einen großen Rucksack mit Fotozubehör und warme Klamotten soviel es ging, und von den Hunden und den "Männern allein zu Hause" verabschiedetet hatten, starteten wir früh morgens in Hamburg die lange Reise in den Norden von Schweden, 150km nördlich vom Polarkreis. 

3x lange und abenteuerlich fliegen, die Flughäfen wurden jedes mal kleiner, die Landschaft unbesiedelter und das Wetter kälter. 

Am Zielflughafen von Kiruna stiegen wir aus dem Flieger und atmeten das erste mal die eiskalte und klare Luft ein, die ich in der Zeit in Lappland so lieben gelernt habe. Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an diesen Moment denke.

Wenn andere Menschen davon erzählen, sie wären weit weg von Zuhause auf eine Art "angekommen", so war das mein Moment. 

Ich war schön öfter in Schweden in meinem Leben, aber nie in Lappland gewesen und auch nie im Winter. Das Gefühl von Zuhause sein, von einer Selbstverständlichkeit, mit der Kälte umzugehen, die Sonne, die nur für ca 4 Stunden kurz über der Horizont schaute, die Tatsache, daß es morgens um 10 noch dunkel war und die Kälte so gefährlich und intensiv war, wie ich sie noch nie erlebt hatte, die Landschaft, die Häuser und Menschen dort- all das fühlte sich an, wie: Endlich. Ich bin endlich da.

uer Text


Das erste was wir auf dem Flughafen von Kiruna sahen, war eine Anzeigetafel, die "-24°" anzeigte. 
Es folgten nach der Landung noch ein paar Stunden Busfahrt durch wunderschöne und scheinbar unendliche Eislandschaft und alles war man durch die Fenster sehen konnte, waren die Tannenwälder im Mondlicht und Schnee. 
Schnee, Schnee und noch mehr Schnee. Wenn wir uns nicht vorher schon gefühlt hatten, als würden wir träumen, dann katapultierte uns die Fahrt im warmen Bus und die Ankunft bei "Explore The North" vollständig in die Welt, aus der ich eigentlich nicht wieder zurückkehren wollte.

Die Huskystation mitten im Nirgendwo sah tatsächlich aus wie in einem Märchen: Das Gästehaus ein wunderschönes Gebäude aus Holz, direkt im Eingang prasselte ein großer offener Kamin und das erste, was wir von diesem herrlichen Ort mitbekamen, war ein deluxe Abendessen aus heimischen Zutaten und Fleisch aus den Wildtieren der Umgebung. Wir kamen uns tatsächlich vor, wie im Paradies.
In unserem Zimmer waren die Scheiben von außen zugefroren, der Winter war selbst für die Lappländer ungewöhnlich kalt und trocken, was aber einen magischen Nebeneffekt hatte: 
Es war "akuter Nordlichtalarm" und alle auf dem Gelände hatten die Anweisung, sofort alle anderen zu wecken, wenn die Lichter zu sehen waren.
Wann immer nachts jemand ein Nordlicht sah, wurde an alle Türen geklopft und kurz später versammelten sich alle Bewohner und Gäste des Hauses vor der Tür. Meistens wie wir, in Schneeschuhen, Mütze und Schlafanzug. 
Draußen war es durch den Schnee nie ganz stockfinster, man konnte sich bei Mondlicht ohne Probleme orientieren und da es sowieso meistens dunkel war, wanderten wir oft im Schneelicht umher, um die Gegend um die Station zu erkunden.
Die Nordlichter sahen wir gleich an unserem ersten Abend und es nicht möglich, das zu beschreiben, ohne durchgedreht oder übertrieben zu wirken:
Der Himmel war voller tanzendem Licht. Grüne, geisterhafte Gebilde, die über uns zuckten, wie ein Schwarm bunter Elfen im Himmel, die auftauchten und wieder verschwanden, die Launen zu haben schienen und mal nur kurz am Horizont leuchteten, und manchmal minutenlang den gesamten Nachthimmel ausfüllten, so daß man das Gefühl bekam, man würde gleich hineingerissen werden, wenn man zu sehr in dem Anblick versank.  

Am ersten Tag brachen wir mit der Gästegruppe und einem Führer der Station zu einer Snowmobiltour auf. 
Da Matilda nicht selber fahren durfte, konnten wir uns nicht abwechseln, und die anderen 5 Paare bestanden immer aus einem Mann und dessen Frau, wobei die meisten Frauen darauf verzichteten, selber das Snowmobil zu steuern. 
Und obwohl uns vom Chef dringend geraten wurde, es beim Fahren nicht zu übertreiben, auf keinen Fall die Wege zu verlassen und... und ja was eigentlich?  
Ich habe auch nicht mehr genau zugehört. Denn die Maschinen waren einfach fantastisch! In der Dunkelheit des Morgens, in der eisigen Kälte standen sie vor der Einfahrt vom Hof und liefen sich blubbernd warm, verbreiteten Unmengen von Dampf und warteten wie schlafende Drachen darauf, mit uns in die Eiswüste zu reiten.
Unser Guide war ein robuster Däne, der sichtlich begeistert war eine anscheinend ungewöhnlich junge und mutige Gruppe führen zu dürfen, denn die einzige Frage die er uns stellte, war: "Are you afraid of speed?" 
Matilda und ich schnallten den Fotorucksack fest, besprachen noch ein paar Zeichen (durch Gesichtsschutz und Helm und den irren Lärm war an Reden nicht zu denken) und schon ging es los.
Ich schätze, es dauerte nur ungefähr ein paar Kilometer, bis wir aus einer Kurve in eine Schneewehe flogen und ich von da an verstand, warum es so wichtig war, auf den gespurten Wegen zu bleiben: neben den Pfaden war der Schnee zwar höher aber eben auch viel lockerer und wir versanken samt Gefährt wie in einem Bällebad einfach im Schnee. 
Matilda Bein steckte unter dem Schneemobil und ich schaffte es nicht, das schwere Ding wieder von ihr herunterzuheben. Der Motor war ausgegangen und wir lagen also dort im Schnee, machten unsere Helmvisiere auf und berieten, was wir jetzt tun könnten. Keiner war verletzt, aber da wir die letzten in der Reihe gewesen waren, und die anderen sich schon längst in irrer Geschwindigkeit entfernt hatten, wurde uns recht plötzlich klar, wie einsam wir gerade waren. Minus 30 Grad, in der herrlichen Landschaft, es war still, man hörte den Schnee knacken, kein menschliches Wesen weit und breit, alles glitzerte wunderschön.

Ok, ich mache es kurz, wir wurden gerettet. Aus irgendeinem Grund kam nach einer Weile noch ein zweiter Guide hinterhergefahren, der den Start verpasst hatte und brachte uns wieder auf die Strecke.


Das Highlight in Kangos war aber ganz sicher der Tag der langen Tour mit den Schlittenhunden.
Noch bevor unsere Taschen ausgepackt waren, hatte Matilda natürlich schon die Huskyzwinger besichtigt und war eigentlich von da an nur noch dort. 
Half beim Füttern und Anspannen, Schlitten abfegen und Versorgen der Huskys.
Die Farm hatte zwei verschiedene große Zwinger: einen für die Rennhunde, die von dem Ehepaar der Farm selber auf Rennen gefahren wurden und einen zweiten Zwinger mit älteren Hunden und welchen, die aus dem Tierschutz oder von anderen Stationen gerettet worden waren und bei Explore The North eine neues Aufgabe bekamen als Zughunde für die Schlittentouren der Gäste. Die Anlage war wirklich schön gemacht. Die Hunde immer in 2er bis 4er Teams in einem großen Auslauf, alle waren gepflegt und gut ernährt. 
Matilda und ich bekamen für die Tagestour ein 5er Gespann zugeteilt und die gemeinsame Fahrt auf dem Schlitten organisierten wir (ganz fairer Weise) so, daß wir uns nicht abwechselten, sondern Matilda die ganze Zeit über fuhr und ich vorne im Schlitten saß und Fotos machte, was mir ganz recht war.
Wobei der Part des aktiven Fahrers der deutlich bessere ist, da die Bewegung hilft, die Kälte wenigstens halbwegs zu ertragen.  Die Temperaturen waren mittlerweile noch weiter gefallen und es schneite schon den ganzen Tag über. 
Was das Fahren nicht einfacher machte und wir die ersten waren, die den 50km Trail nach 2 Tagen wieder benutzten. Wir fuhren trotzdem los.

Der Tag war unvergesslich. 
Nach langem Sortieren und Einspannen der Hunde, dem üblichen unbeschreiblichen Lärm und Geheult der Hunde, die den Start im Zuggeschirr nicht abwarten können, fuhren mit den Hundegespannen endlich los in die Einsamkeit. 
Die Station von Explore the North liegt schon wirklich weit ab von jeder Zivilisation, aber nochmal 20km weiter Richtung Norden sahen wir stundenlang nichts, was an menschliches Leben erinnern würde. 
Schnee, Tannen, Überscheite Moore und Seen, die Sonne, die trotz dem Schneefall kurz über den Horizont schaute und später den Mond, der die kalte Landschaft noch märchenhafter aussehen ließ.
Das Kratzen der Schlittenkufen im Schnee und die Geräusche der Hunde kamen mir kaum lauter vor, als die unglaubliche Stille in der kalten Wildnis. 
Bei einer Pause auf einer Lichtung fütterten wir die Hunde, brühten über dem Feuer einen Tee auf und machten uns danach weiter auf den Trail.
Unser Hundegespann war wirklich ein tolles Team. Matilda kannte einen unserer Hunde schon vom Füttern am Vortag und wir wuchsen schon nach kurzer Zeit zusammen: Meine tolle Tochter, die Hunde, unser Schlitten und ich. 
Manchmal redeten wir auf der Fahrt miteinander, oft hörte ich Matilda hinter mir den Hunden Kommandos geben, aber die meiste Zeit sagten wir nichts.
Wir hätten ewig so weiterfahren können und mein Herz schmerzt vor Sehnsucht, wenn ich an den Tag zurückdenke.

Allerdings siegte am Ende die Kälte doch noch.
Meine einzige Sorge vor der Lapplandreise war: Wie lange hält ein Kamera-Akku bei der Kälte?
Die wichtigste Regel, die uns in Kangos eingetrichtert wurde, war: Ziehe nie, aber auch  wirklich niemals deine Handschuhe aus, egal was du tust.
Ich kann meine Kameras blind bedienen, besoffen, im Schlaf, aber durch 2 Paare Handschuhe wurde es schwieriger als gedacht. Also zog ich sie vorne im Hundeschlitten, wo ich meine Hände für nichts anderes als zum Fotografieren brauchte, aus.
Und wenn ich irgendwas bereue, was ich jemals getan habe, um gute Fotos zu bekommen, dann das.
Naja, ich bereue es ein bisschen, zumindest. 

Die Kälte in Lappland ist nicht wie hier, wenn es mal friert. Wenn man denkt: Ach, jetzt wird mir aber ein wenig kühler, ich hätte die dickere Jacke mitnehmen sollen.
Es ist einfach so unfassbar kalt, trotz Thermounterwäsche, 4 Paar Socken, beheizten Schuhsohlen, Wollpullovern, Sturmhauben, Mützen, Schneehosen und darüber ein Overall. Wenn man im Fernsehen sieht, wie den Teilnehmern einer Polarexpedition die  Wimpern einfrieren, und man sich denkt: Wahnsinn, wie kalt das da sein muss.....  So kalt war es in Kangos. 
Nach kurzer Zeit ist alles, was man dabei hat mit einer weißen Schicht aus Eiskristallen bedeckt, und ob man will oder nicht, zieht einem die Kälte in alle Knochen.  
Und wenn man seine Handschuhe auszieht, im Fahrtwind bei Schneefall auf einem Hundeschlitten, während man über einen Eissee fährt (was den Effekt hat als würde man zusätzlich zu der Kälte nochmal einen Eisschrank öffnen, weil die Kälte vom Boden so strahlt), dann werden die Finger NICHT nach einiger Zeit kühler oder sogar kalt..
Die Finger frieren einfach ein. So schnell, wie man den Gedanken "ich sollte die Handschuhe doch wieder anziehen" nicht zu Ende denken kann. 
Zwei Finger meiner linken Hand sind bis heute ein wenig taub an den Spitzen.
Aber die Fotos sind toll geworden!    

Die Zeit in Lappland ging viel zu schnell vorbei. Hätte man mir gesagt, wir müssten aus unerfindlichen Gründen einfach dableiben, hätten wir es nicht sehr schlimm gefunden.
Und als während der Rückreise einer Flüge wegen Eisregen gecancelt wurde, sahen wir einen kleinen Hoffnungsschimmer, doch noch in Lappland bleiben zu müssen..  
Aber Norddeutschland hatte uns schneller wieder, als es nötig gewesen wäre.

Lappland, wir kommen wieder, versprochen!

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